Kagami Biraki 2019. Traditionsgemäß der Start ins neue Jahr. Sich sammeln, das alte Jahr Revue passieren lassen und sich der Herausforderungen des Neuen bewusst werden. Dieses Mal aber zugleich ein Abschied von Gewohntem, von Orten und Geschichte. Es mag Zufall sein, dass unser traditionelles Neujahrstraining 2019 auf das, aus japanischer Sicht vorgegebene, Datum 11.01. fiel. Aus subjektiv-emotionaler Sicht, hätten wir es allerdings nicht besser treffen können.
Mit körperlich anstrengendem Training, bestehend aus Kräftigung, Abhärtung, Kihon-Waza, Partnerübungen und Kata war das Ganze in diesem Jahr sicherlich eher unspektakulär. Ganz ohne fancy Specials oder abgefahrene Moves blieb aber Raum sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nämlich eine solide Basis und das Gleichgewicht von hart und weich. Wie ein Baum, fest verwurzelt in der Erde, aber in der Krone flexibel und fähig sich dem Wind anzupassen sind diese beiden Gegensätze nicht nur technisch, sondern auch geistig eine beständige Herausforderung.
So wie der Schüler mit zunehmendem Fortschritt lernt, die vorgegebenen Basics immer freier anzuwenden und sich den Gegebenheiten anzupassen, zu kombinieren und die bisher gewohnten Strukturen zu verlassen, so sind wir auch emotional immer wieder gefordert, Altbekanntes oder Liebgewonnenes loszulassen, um uns auch persönlich weiterentwickeln zu können. Für uns ist das in diesem Jahr der Abschied von unserem alten Dojo.
Auch wenn unsere bisher knapp neunjährige Dojo-Geschichte, sicherlich nur als zeitlicher Wimpernschlag bezeichnet werden kann, so hat dieser oft viel zu kleine, unspektakuläre Raum, mit den ständig verrutschenden Tatami und den staubigen Ecken, einen unverrückbaren Platz in unseren Herzen. Denn schließlich hat hier alles begonnen. Nach langem Ringen um Mitstreiter, Akzeptanz in den bestehenden Vereinsstrukturen und natürlich auch intensivem und kraftraubendem Training, öffnete der Koryukan Fulda hier im Jahr 2012 ganz offiziell seine Pforten, nachdem wir zuvor einige Jahre unter dem Begriff „Kata-Anwendung“ als Untergruppe der Abteilung Shotokan Karate übten.
Damals war es vor allem für mich als Lehrer ein bedeutsamer Schritt, nach mehr als 12 Jahren die gewohnte Umgebung des Shotokan-Ryu zu verlassen und mich auf eine völlig neue Reise zu begeben. Ein Schritt der mir damals unglaublich schwer viel, denn bedeutete dies doch auch Menschen zurückzulassen die mich lange Jahre in meiner Übung begleiteten. Aus heutiger Sicht jedoch notwendig und unabdingbar. Diese Entscheidung eröffnete mir eine völlig neue Welt, was sowohl meinen eigenen Fortschritt in den Kampfkünsten, als auch meine Entwicklung als Mensch und Lehrer angeht.
Von den Mitstreitern der ersten Stunden ist heute niemand mehr übrig, das Dojo hat sich gewandelt. Ein neuer harter Kern und Eintagsfliegen bestimmten das Geschehen der letzten Jahre. Und auch der Erfolg einer Person den Weg zur Meisterschaft geebnet zu haben, erfüllt mich mit Stolz. Aber Menschen kommen und gehen und gerade im letzten Jahr wurde mehr als deutlich, dass auch die Gesellschaft sich wandelt. Die Unverbindlichkeit ergreift zunehmend Besitz von ihr und die Zeiten der gefüllten Dojos scheint vorbei. Trotz der Tatsache das die Kampfkünste schon immer auch die Komponente der menschlichen und charakterlichen Entwicklung beinhalteten, fällt scheinbar zunehmend schwerer diese Werte zu vermitteln und eine feste Dojo-Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, die sich gegenseitig stützt und am gemeinsamen Fortschreiten auf dem Weg der Kampfkünste arbeitet. Somit ist der Abschied vom alten Dojo vielleicht auch der Abschied vom sogenannten Geist der ewig Gestrigen.
Nachdem bereits am nächsten Tag die Abbrucharbeiten begonnen haben, die alten Matten und das nur noch lose in der Wand verankerte Makiwara weichen mussten, keimt heute aber auch wieder Vorfreude auf das was kommt. Ein neues Dojo und Aufbruchstimmung mit dem Ziel sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Denn wenn uns dieses kleine unscheinbare Räumchen im hintersten Keller der Sporthalle eins gelehrt hat, dann das alles sich verändert und das immer wieder ein paar lockere Klopfer gegen die Mattenkante notwendig sind, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Wichtig ist aber, dabei die Motivation nicht zu verlieren. Denn man tut es am Ende für die, die noch immer auf dieser Matte stehen.