Fast schon mit einer Punktlandung fand das diesjährige Kagami Biraki (jap. „Den Spiegel reinigen“) am Freitag, den 12.01.2018 statt. In Japan halten Dojos dieses traditionelle Neujahrstraining immer am 11.01. eines jeden Jahres ab. So dicht waren wir tatsächlich noch nie dran. Dennoch gab es am Ende wieder keine Mochi zu essen und keinen Sake zu trinken. Vielleicht nächstes Jahr.
Dieses Jahr haben wir uns ein ziemliches Brett vorgenommen. Sowohl körperlich, als auch geistig. Viele machten in diesem Jahr das erste Mal Bekanntschaft mit der Kata Sanchin. Und das, obwohl sie neben Naihanchi mit eine der wichtigsten Formen des klassischen Karate darstellt. Wörtlich übersetzt bedeutet Sanchin (jap. 三戦) „Drei Schlachten“, womit der Körper, das Bewusstsein und der Geist gemeint sind. Manchmal wird auch von Geist, Körper und Technik gesprochen.
Ihr tatsächlicher Ursprung ist unbekannt. Ihre Wurzeln können jedoch bis ins China des 13. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. HIGASHIONNA Kanryo (1853 – 1915) brachte die Kata schließlich nach Okinawa zurück, nachdem er zuvor zwischen 8 und 16 Jahren (die genaue Verweildauer ist heute unbekannt) in China lebte und dort den Kranichstil (Baihequan) in der Provinz Fuzhou erlernt hatte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kata nicht auch schon vorher auf Okinawa existierte. Higashionna war lediglich der erste, der die Kata einer breiteren Masse von Schülern zugänglich machte. Sein Schüler MIYAGI Chojun gründete später das heute weltweit verbreitet Goju-Ryu und machte die Sanchin dort zur wichtigsten Kihon-Kata, neben der Tenshô.
Während Higashionna noch die ursprüngliche Version mit offenen Händen lehrte (diese wird auch heute noch im Uechi-Ryu geübt), wird im Goju-Ryu die geschlossene Faust verwendet. Im Koryu Uchinadi üben wir ebenfalls die Version mit offenen Händen.
Die Übung von Sanchin dient in erster Linie dazu grundlegende körperliche und geistige Prinzipien auszubilden. Hierzu gehört vor allem ein sicherer Stand und eine stabile Körperstruktur, wie sie vor allem beim Schlagen unabdinglich sind.
Einige Stile prüfen auch Stabilität und Konzentration (jap. 締め „Shime“), indem der Übende, während er die Kata ausführt, vom Lehrer mit harten Schlägen auf bestimmte Muskelgruppen oder Druck- und Zugbewegungen konfrontiert wird.
Uns ging es im diesjährigen Kagami Biraki zunächst vor allem darum den Ablauf der Kata (welcher tatsächlich ziemlich einfach ist) und die Grundlegenden Körpermechanik zu lernen. Vor allem das Erlernen des Sanchin-Dachi (die nach der Kata benannte Fußstellung) stand zu Beginn im Vordergrund.
Nach und nach ergänzten wir dann die restlichen beteiligten Muskelgruppen und die korrekte Ausrichtung des Oberkörpers. Um diese auf Korrektheit zu überprüfen ließen wir zwischendurch immer wieder spezielle Kräftigungsübungen einfließen. Zum Beispiel das Tragen eines Medizinballs, während im Sanchin-Dachi vorwärts gegangen wird.
Nachdem der Ablauf einigermaßen erlernt war, warfen wir sogar noch einen ganz kurzen Blick auf die oben bereits angesprochene Testung des Shime. Die Übenden durften sich gegenseitig mit leichten Schlägen auf vorher definierte Muskelpartien als Trainer versuchen um sich so, über die geänderte Perspektive, intensiver mit den Prinzipien der Kata zu beschäftigen.
Ergänzt wurde die Kata-Übung durch ein Schritt für Schritt aufgebautes Pratzentraining. Die Schüler übten hier zunächst vereinfachte Formen der Abwehr gegen kreisförmige und geradlinige Schläge. Im Fokus stand hier die Übertragung des Mindsets aus der Kata Sanchin, nämlich nicht zu weichen sondern zu wiederstehen oder sogar entgegenzugehen. Dies steigerten wir soweit das am Ende die Arbeit an der Pratze immer wieder durch Störtechniken unterbrochen wurde, auf die entsprechend reagiert werden musste. Dies führte letztlich aufgrund des konditionellen Anspruchs zu einer Stresssituation, welcher es sich zu stellen galt.
Sicherlich reichen vier Stunden nicht mal im Ansatz um auch nur ein Grundverständnis von der Kata Sanchin zu erhalten. UECHI Kanbun, der Begründer des Uechi-Ryu sagte einst, „Alles ist Sanchin“ und „Allein Sanchin verdient 10 Jahre Training“, was deutlich macht welche Bedeutung dieser Kata im Basic-Bereich zukommt. Dennoch war es sicherlich ein interessanter Einblick in die tieferen Prinzipien des klassischen Karate und dessen Ursprünge.