道場のみの空手と思ふな
„dojo nomino karate to omou na“
Karate findet nicht nur im Dojo statt!
Regel Nr. 8 der, von Funakoshi Gichin (1868 – 1957) verfassten, Shōtōkan nijū kun (松濤館二十訓) und vielleicht eine der abgedroschensten Dojo Regeln aller Zeiten.
Seit dem Beginn meiner Karate Laufbahn habe ich diesen Leitsatz in regelmäßigen Abständen – geradezu inflationär – durch die Sporthallen der Republik hallen hören. Da fragt man sich natürlich irgendwann, wieviel Nachhaltigkeit das Gesagte bei den Schülern eigentlich hat und wieviele Lehrer überhaupt selbst nach dieser Regel leben. Die Regel zu leben, setzt ja voraus, die eigentliche Tragweite dieses eher profan klingenden Satzes zu verstehen. Und genau an diesem Punkt bin ich mir mehr als unsicher, denn ich glaube das bisher überhaupt keine Notwendigkeit bestand, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln.
Sind wir doch mal ehrlich. Über Jahrzehnte hinweg haben wir alle wie die Made im Speck gelebt. Wir waren verwöhnt von voll ausgestatteten Dojos deren Mitgliederzahlen über lange Zeit stabil und jenseits des Erwartbaren lagen. Es ist mir aber auch durchaus bewusst, dass der Markt in den letzten Jahren deutliche Umverteilungen erfahren hat. Prak-tizierende der „klassischen“ Kampfkünste sind nach und nach zu „moderneren“ Systemen abgewandert, während viele der Altvorderen bis heute oftmals die Schuld nicht bei sich, sondern bei den fancy klingenden Namen und der besseren PR der Anderen verorten. Der Begriff „modern“ wird dabei gerne als Feindbild verwendet. Als böse dunkle Macht, die versucht die „gealterten Krieger“ in die Bedeutungslosigkeit zu verdrängen. Schaut man allerdings mal kurz in den Duden, findet man dort unter „modern“ eine nicht ganz so spektakulär klingende Erklärung des Begriffs:
mo·dern
/modérn/
Adjektiv
- der herrschenden bzw. neuesten Mode entsprechend
- dem neuesten Stand der geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen, technischen o. ä. Entwicklung entsprechend; neuzeitlich, heutig, zeitgemäß
Statt einer Untermauerung der empfundenen Ungerechtigkeit, finden einige Vertreter der klassischen Systeme darin eher ein Vorwurf in die eigene Richtung. Den Vorwurf stehen geblieben zu sein. Sich auf den eigenen Erfolgen ausgeruht zu haben und damit das Vermächtnis der alten Lehrer mit Füßen getreten zu haben. Denn während sich die Kampf-künste über Jahrhunderte beständig verändert und weiterentwickelt haben, endete diese Entwicklung im modernen Karate irgendwann. Und an dieser Stelle klingt es schon fast wie Satire wenn so manch einer von „modernem“ Karate spricht. Modern sein heißt, anpassungsfähig zu sein und das ist eine Fähigkeit, die ich vor allem in den japanisch geprägten Stilrichtungen schon sehr lange vermisse.
Aber zurück zum Anfang. Auch ich war in jungen Jahren der Meinung, dass man unter Funakoshis Leitsatz versteht, auch zuhause zu üben oder sich vielleicht mal ein wenig mit Theorie zu beschäftigen. Das Hauptaugenmerk lag aber immer auf der Praxis im Dojo. Das war der Ort an dem sich alles abspielte.
Auch wenn sich diese Annahme bei mir über die Jahre komplett verändert hat, denke ich, dass viele Praktizierende dies auch heute noch so sehen oder sagen wir besser, gesehen haben. Denn dann kam das Jahr 2020 und ein kleiner Virus aus Wuhan zeigte den Kampfkünstlern dieser Welt, wo der Hammer hängt.
Es ist schon fast eine Ironie des Schicksals, dass es quasi ein Chinese war, der im Frühjahr die Dojos dieser Welt lahm legte. Fast wie in einem trashigen Kung-Fu Film, in dem ein neuer Meister aus dem Süden kommt, und die faul und arrogant gewordenen Meister der etablierten Schulen reihenweise auf die Bretter schickt. Es gingen im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus. Und da standen wir dann plötzlich alle da. Ohne toll eingerichtetes Dojo und mit von oben auferlegten Kontaktbeschränkungen, die es uns nicht mal erlaubten im Freien zu trainieren. Man fühlte sich unweigerlich an Epochen zurückerinnert, in denen Kampfkunst nur hinter verschlossenen Türen praktiziert werden durfte.
Und genau wie in diesen Zeiten, blieben uns auch 2020 nur zwei Möglichkeiten:
- Wir bleiben zuhause hocken und hoffen darauf, dass sich der Mist irgendwann wieder gibt, um dann wieder zur heiß geliebten Normalität der fetten Jahre zurückkehren zu können, oder
- wir finden einen anderen, einen neuen Weg weiter üben zu können.
Wenn wir den alten Gichin jetzt wirklich ernst nehmen, dann kann Variante (1) niemals nicht eine Option sein! Nicht gestern, nicht jetzt und schon garnicht morgen!
Man konnte es auch als kleinen Test ansehen. Die Zeiten, die Welt nach unserem Vorbild zu formen, waren vorbei. Wir waren plötzlich gefordert, uns den äußeren Umständen anzupassen und ich kann mich glücklich schätzen zu behaupten, dass uns das gelungen ist.
Nach einer mehrwöchigen Trainingspause, begann ich im Frühjahr damit, die Mittel der modernen Technik zu nutzen und Training per Livestream über Twitch anzubieten, was von meinen Schülern auch sehr rege genutzt wurde. Selbst Personen, die normalerweise nicht so viel von diesem „Technikkram“ verstehen, haben sich das nötige Wissen angeeignet um dabei sein zu können. Karate heißt, Hindernisse überwinden und das haben sie an dieser Stelle eindrucksvoll bewiesen. Schwierig war trotzdem, dass meine Schüler mich zwar sehen konnten, ich sie aber nicht. Das bringt Vorstellungskraft und didaktische Fähigkeiten eines jeden noch so erfahrenen Lehrers an ihre Grenzen. Von der eher suboptimalen zeitverzögerten Kommunikation per Chat, wollen wir garnicht erst sprechen.
Glückerlicherweise gönnte uns der kleine Chinese im Sommer ein kurze Verschnaufpause und das Dojo stand für wenige Wochen wieder offen. Rückblickend war das aber nur die Ruhe vor dem Sturm, denn er brachte sein Kung-Fu zur Vollendung und überrollte uns im Herbst mit aller Macht. Die Aussicht bald wieder ins Dojo zurückkehren zu können war düster.
Diesmal stand aber überhaupt nicht zur Debatte, dass wir unser Training einstellen würden. Unter Einbeziehung der Erfahrungen aus dem Frühjahr entschlossen wir uns aber, das Training über Skype fortzusetzen. Sich weiterhin sehen, sprechen und austauschen ist einfach so wichtig und ich bin immer noch fasziniert, wie gut das alles funktioniert. Trotz manchmal abbrechender Verbindungen oder der Tatsache das viele in ihrem Wohnzimmer nicht ganz so viel Platz haben, sich ausladend in alle Richtungen zu bewegen. Da kann ein Mae-Geri schonmal zur Gefahr für das Mobiliar werden, oder auch umgekehrt.
Das klassche „Tok“ gefolgt von einem berherzten „Aua“ wurde zum Sinnbild für den Was-sertropfen der vom Dach fällt und einen wieder in das hier und jetzt zurückholt. Und nicht vergessen: Etwas Schadenfreude fördert auch die Gemeinschaft.
Doch auch außerhalb des heimischen Dojos wurden neue Wege beschritten. Angeregt durch die dresdner Fraktion stellten die deutschen KU Dojo-Cho (und Anders Sensei aus Stockholm) einen Advents KATAlender auf die Beine.
Über 24 Tage eine neue Kata entwickeln, indem jeder Teilnehmer täglich eine neue Bewe-gung hinzufügt.
Das Ergebnis:
結拳
Musubiken
„Die verbundene Faust“
Ein Symbol dafür, dass Verbundenheit nichts mit räumlicher Nähe oder Distanz, sondern nur etwas mit dem gemeinsan Weg zu tun hat.
Lobend erwähnen möchte ich aber auch, das von Dinah organisierte Zoom Pub Quiz An-fang Dezember. Und nein, die Antwort lautete nicht immer Patrick McCarthy.
Tja und heute ist der 31.12.2020 und die Situation hat sich nicht wirklich verändert. Wir üben weiterhin gemeinsam aber trotzdem jeder für sich im heimischen Wohnzimmer. Dennoch haben wir die Trainingszeit im Gegensatz zum Präsenztraining im Dojo sogar noch erhöht. Zeitpläne haben im Cyberspace keine Gültigkeit mehr. Wir sind nicht stehen geblieben, wir haben uns nicht nur angepasst, wir sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen! Denn wenn Karate nicht nur im Dojo stattfindet, dann sind wir auch nicht mehr an die Grenzen des Dojo gebunden. Eine unfreiwillige Befreiung für dich ich rückblickend sogar ein wenig dankbar bin.
Was das Morgen bringt? Ich weiß es nicht. Vermutlich wird dieser Zustand noch eine ganze Weile anhalten. Aber ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass wir auch das überstehen werden. Weil wir uns angepasst haben. Weil wir uns weiterhin anpassen werden! Weil uns das alles noch viel enger zusammengeschweißt hat und wir unseren Weg gemeinsam weitergehen!
Weil Karate eben nicht nur im Dojo stattfindet!
Und an dieser Stelle möchte ich mich nun auch ganz herzlich bei meinen Schülern bedanken. Die trotz dieser wirren und schwierigen Zeit am Ball bleiben. Mitmachen, Impulse geben und sich nicht unterkriegen lassen! Ihr seid es, die dieses Dojo am Leben halten und weiter atmen lassen!
Ich danke euch!
本当にありがとうございました!
hontou ni arigatou gozaimashita!